Sterben für Touchscreens

05.09.2016

Ming Kunpeng sitzt auf einem Etagenbett und starrt ins Leere. Aus seiner Nase führen zwei grüne Schläuche zu einem Sauerstoffgerät. Seit Monaten ist das enge Zimmer sein Leben. An den Wänden hängen Bilder – er selber lachend in einem Freizeitpark, er und seine Familie. Bilder aus der Vergangenheit. «Mein Sohn ist 26, das sollte eigentlich die beste Zeit seines Lebens sein», sagt sein Vater Gaosheng, während er Ming verschiedene Pillen verabreicht. 

 

«Das sollte die besten Zeit seines Lebens sein», sagt Mings Vater Gaosheng.

Bloss Papiermaske und Handschuhe

 

Mit 20 Jahren verliess Ming Kunpeng das Dorf seiner Eltern in der Provinz Hubei, um in der Elektronik-Metropole Shenzen Arbeit zu finden und seine Familie zu unterstützen. So wie über 12 Millionen chinesische Teenager jedes Jahr. Ming begann in einer Fabrik des holländischen Konzerns ASM zu arbeiten, einem weltweit führenden Zulieferer von Bestandteilen für Computerchips, Telefone und Tablets.

 

Zwei Jahre lang reinigte er Leiterplatten und verwendete dafür verschiedene Chemikalien – darunter auch Benzol, ein süsslich riechendes, besonders effizientes Lösungsmittel. Dass Benzol hochgradig krebserregend ist, wusste er zu dem Zeitpunkt nicht. Anstelle einer Hochsicherheitsausrüstung erhielt er für seine Arbeit lediglich Papiermaske und Handschuhe. Bereits nach zwei Jahren wurde bei ihm eine aggressive Form von Leukämie festgestellt.

Obwohl medizinische Untersuchung bestätigte, dass die Arbeitssituation für Mings Leukämie verantwortlich ist, stritt ASM jegliche Verantwortung ab. Erst nach über einem Jahr juristischen Kampfs bot ASM der Familie schliesslich eine einmalige Entschädigung an. Für die Deckung der bis dahin angehäuften Krankheitskosten reichte sie bei weitem nicht, geschweige denn für die Kosten der kommenden Jahre. Doch der Familie blieb keine andere Wahl, als das Angebot zu akzeptieren.

 

Ming erhielt eine Knochenmarktransplantation, wenige Monate später kollabierten seine Lungen und er wurde zum Pflegefall. Sein Vater verliess Dorf, Haus und Felder, um sich in der Stadt um seinen Sohn zu kümmern.

 

Berufsrisiko Nummer 1: Vergiftung

 

Ein paar Wochen nach dem Treffen mit Ming ist er tot. Mit einem Sprung aus dem Fenster des Spitals hat er seinem Leben ein Ende gesetzt. Er wollte keine Last mehr sein für seine Familie.

 

Ming Kunpengs Schicksal ist bei weitem kein Einzelfall. Vergiftung am Arbeitsplatz ist Berufsrisiko Nummer eins in China. In den Spitälern von Shenzhen und anderen Industriestädten sind ganze Abteilungen gefüllt mit jungen Menschen, die wegen Benzol und anderen Chemikalien am Arbeitsplatz an lebensbedrohenden Krankheiten leiden. Benzol, in vielen Ländern für industrielle Zwecke seit den 1970er Jahren verboten, ist in China nach wie vor weit verbreitet. Weil es billiger ist als sichere Alternativen. Und weil die Markenfirmen permanent Druck auf die Produktionsfirmen ausüben, die Kosten weiter zu senken.

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